Gastbeitrag von Lilian Jost

Lilian Jost hat mir ihre Replik zur Schrift “Habt ihr nicht gelesen” zugestellt und mir erlaubt, ihren Text auf meinem Blog zu publizieren. Ich freue mich zu sehen, dass Lilian – und noch viele andere engagierte, denkende und liebende Menschen – ganz ähnliche Reaktionen zeigen und Schlüsse ziehen beim Lesen gewisser Texte. Herzlichen Dank für diesen frisch formulierten Text!

Der nachstehende Text wurde zuerst im Rahmen der Diskussion um die Ehe für alle auf social Media gepostet, daher die Anrede.

Liebe Pfarrer*innen der Reformierten Landeskirchen der Schweiz

Rund 200 von Euch haben eine Erklärung gegen die „Ehe für alle“ unterzeichnet. Sie trägt den Titel „Habt ihr nicht gelesen…?“. Ihr seid dagegen, dass gleichgeschlechtliche Paare in reformierten Landeskirchen getraut werden. Gerne möchte ich mich dazu äussern.

Ich studiere evangelische Theologie in Heidelberg, komme aus Zürich, wuchs in der Zürcher Landeskirche auf und kann mir gut vorstellen, eines Tages wieder hierher zurückzukommen und als Pfarrerin zu arbeiten. Zusammen mit meiner Partnerin, ebenfalls Theologiestudentin. Die ich eines Tages in Deutschland sowohl standesamtlich als auch kirchlich heiraten darf.

Ich richte mich aber nicht nur an euch 200, sondern auch an meine Freund*innen, sollten sie nun Theologie studieren oder nicht – vor allem an letztere, eigentlich. Ich liebe mein Studium. Theologie ist nice, mega spannend, und, wie wir sehen, aktuell. Ich finde es so frustrierend, dass vor allem meine queeren Freund*innen von der Kirche verschreckt und abgeturnt sind. Ich verstehe das vollkommen. Wäre ich auch, wenn ich mich nicht schon mittendrin befinden würde. Aber mich werden diese 200 Pfarrer*innen und die Leute, die sie repräsentieren, so schnell nicht los. Ich will hier bleiben, in der Kirche, und meinen queeren Shit durchziehen, christlich, jawoll! Ich will euch Queers zeigen, dass es auch noch andere gibt, und dass wir mehr und stärker und bunter sind als die, die uns verurteilen.

Und ich bin wütend auf euch, ihr 200 Pfarrer*innen. Hier ist mein Statement. Ich habe eure Erklärung gelesen und will sie Punkt für Punkt kommentieren.

1. „Ehe für Alle ist ein radikaler Bruch mit der christlich-jüdischen Tradition“. Ist es nicht. Viele Kirchen rund um uns herum haben die Ehe geöffnet und sind nicht im (unbiblischen) Fegefeuer verbrannt. Ausserdem sollte Traditionsbruch in der REFORMierten Kirche kein Argument sein. Wenn ihr für Tradition und feste Brauchtümer seid, dann solltet ihr vielleicht nicht für eine Kirche arbeiten, deren Existenz auf dem Bruch mit Traditionen beruht.

2. „Die Kirche steht nicht über der Schrift“. Zeigt uns mal die Stellen, die lesbische und schwule Liebe verbieten. Habt ihr nicht alle viele Semester lang Theologie studiert, Exegese gelernt? Könnt ihr Perikopen nicht mehr in ihrem Kontext verordnen? Nehmt ihr die gesamte Bibel wörtlich? Und warum haltet ihr euch dann nicht an alle Gebote des Alten Testaments?
Ja, die Ehe für Heteropaare wird im Alten wie im Neuen Testament befürwortet. Natürlich. Die dürft ihr ja auch weiterhin durchführen. Aber wenn ihr euch an sola scriptura halten wollt, dann verbietet auch nichts, was die Schrift nicht verbietet.
(BTW: Diejenigen, die „nur tun, was Jesus gebietet, und nichts tun, was Jesus nicht erwähnt“ sind jene Splittergruppen, die sich von der Schweizer Reformation abgespalten haben. Das ist keine reformierte Position. Jesus erwähnt auch keine Weihnachtsbäume, keine Osterhasen, er sagt nie, dass man sich die Zähne putzen oder lachen soll. Aber so natürlich und selbstverständlich wie Zähne putzen oder lachen oder all die tausend anderen Dinge, die Jesus und seine Zeitgenoss*innen niemals erwähnen, ist meine Liebe zu meiner Freundin, diese queere, homosexuelle Liebe.)

3. „Gesellschaftlicher Mainstream wird nicht hinterfragt“. Das hier ist nicht einfach Mainstream. Dass wir uns überhaupt in dieser Lage befinden, wo ENDLICH einmal FAST die Hälfte der Bevölkerung hinter uns steht, ist das Ergebnis jahrzehntelanger – jahrhundeterlanger – Kämpfe, Abmühungen und Aufopferungen. Wir sind hier nicht einfach im Mainstream. Wir Queers und unsere Vorfahr*innen haben der Gesellschaft gezeigt, dass wir richtige, gute Menschen sind, die Gleichberechtigung und komplette Akzeptanz verdient haben. Mainstream. Das ist lächerlich.

4. „So gibt es keine theologische Diskussion mehr“. Leute. Ich LIEBE theologische Diskussion. Ich mache tagein, tagaus wenig anderes. Ich wünschte, viel mehr Menschen würden sich mit theologischen Themen auseinandersetzen! Austausch ist famos! Mehr davon! Aber. Die christliche Trauung verdient eine solche Auseinandersetzung nicht. Sie ist, wenn man sich denn einmal tatsächlich mit ihr auseinandersetzen würde, nicht diskussionswürdig. Ihr habt doch alle Kirchengeschichte studiert, oder? Dann wisst ihr, dass die Ehe seit der Reformation kein Sakrament mehr ist. Sie ist der *Segenszuspruch* von Gott, der sonst keine weiteren Konsequenzen hat. Und Segen benötigen und verdienen wir alle.

Luther schrieb in seinem „Traubüchlein“ von 1529 (ein Traktat, in dem er die Bedeutung und Durchführung der protestantischen Trauung erklärt, zitiert aus: Albrecht, Christian: Kasualtheorie. Geschichte, Bedeutung und Gestaltung kirchlicher Amtshandlungen, Tübingen 2006): „Die aus Trauung, Gebet und Segen bestehende kirchliche Handlung ist eine vom Paar freiwillig begehrte Handlung, mit der das Paar zwar anzeigt, dass es die Ehe als eine von Gott geschlossene Handlung ansieht, sie ist aber zur Gültigkeit der Ehe, die auch vor der weltlichen Obrigkeit geschlossen werden kann, nicht notwendig. [Drittens,] wo eine Trauung begehrt wird, da ist sie auch zu gewähren: „So man von uns begehrt, vor der Kirche oder in der Kirche sie [sic: die Brautleute] zu segnen, über sie zu beten oder sie auch zu trauen, sind wir schuldig, dasselbe zu tun.““

Hoppla. Als Grund für die Durchführung einer kirchlichen Trauung reicht also, dass die Brautleute (super Wort, nicht gegendert) das WOLLEN?! Sie ist die Bestätigung vor Gott, die das Paar freiwillig begehrt?! Der einzige ersichtliche Knackpunkt hier ist die weltliche Ehe, die unsere langsame Demokratie immer noch nicht gebacken bekommen hat. Aber 1) allerspätestens dann gibt es in der reformierten Kirche, die schon immer eng mit der „weltlichen Obrigkeit“ zusammengearbeitet hat, keinen Grund mehr, den Brautleuten die Trauung zu verweigern, und 2) darf die Kirche auch mal schneller sein als der Staat. Weil, ähem, die Reformation ist passiert. Schweizer Kirchen und die Menschen, die sie repräsentieren, war mal ganz besonders fortschrittlich. Also, so ziemlich die fortschrittlichsten in der gesamten Christenheitsgeschichte, bis dato.

Kleiner Zusatz: Die Matthäusstelle, die ihr als Grundlage für euer Eheverständnis zitiert (Mt 19,4-6: „Er aber antwortete und sprach: Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie am Anfang schuf als Mann und Frau und sprach (1. Mose 2,24): »Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein«? So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.“) ist ja schön und gut. Aber ein kleines Detail lasst ihr aus: Vers 6 ist nur bis zur Hälfte zitiert. Der Rest des Satzes lautet: „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!“

Ups. Der Kontext ist nämlich die Frage der Pharisäer, wie Jesus zur Scheidung steht. Und er sagt: Scheidung ist schlecht.
Moment, die reformierte Kirche ist aber gar nicht gegen die Ehescheidung, oder? Ah, verstehe, da ist die Kirche mit dem „gesellschaftlichen Mainstream“ mitgegangen. Und versteht die Ehe auch nicht als Sakrament. Mhm. Alles klar – Bibel zitieren ist okay, aber Teilverse und Kontexte weglassen auch, sofern es der eigenen Legitimation dient. Merci, jetzt kann ich beruhigt Theologie weiterstudieren.

Ich möchte folgendes noch einmal betonen: Ja, die frühen Christen und ihre Autor*innen haben die Ehe als einen Bund zwischen Mann und Frau verstanden. Sie lebten im Hellenismus, geprägt von römischer und griechischer Kultur, und das war da halt der gesellschaftliche Mainstream. Das heisst nicht, dass es keine schwulen Männer, lesbischen Frauen, keine Transmenschen gab. Aber die waren in einer militärisch-antiken Kultur wie dieser halt nicht an der Tagesordnung. Es gab auch keine Menschenrechtserklärung oder Antirassismusgesetze im antiken Griechenland.
Aber: nirgends in der gesamten Bibel wird die Liebe zwischen zwei Männern verboten. Da gibt es eine Passage über die schandhafte Vergewaltigung zwischen mehreren Männern, aber Vergewaltigung finden wir glaubs immer noch scheisse. Und zwei Frauen, haha, werden sowieso nie erwähnt. Das konnten sich die Leute damals wahrscheinlich nicht mal vorstellen. Liebe oder Sex zwischen zwei Frauen ist nirgends explizit erwähnt. Und doch gibt es uns, damals und heute. Und nur, weil die uns damals nicht genug auf dem Schirm hatten, um uns in die Illegalität zu treiben, heisst das nicht, dass man uns heute unsere Rechte vorenthalten muss.

Liebe Unterzeichnende der Erklärung,
mit so einer Kirchenpolitik schiesst ihr euch selber in euer humpelndes Bein. Die Kirche ist nicht mehr die grosse Macht, die sie einmal war. Junge Menschen wenden sich ohnehin seit Jahren von ihr ab. Und mit so einem Gugus vertreibt ihr sie / uns noch mehr. Wie gesagt, ich werde bleiben, und hoffe, anderen zeigen zu können, dass Kirche auch anders kann. Ein grosses Ziel, für das wir viel Unterstützung brauchen können. Aber Gott hat uns gemacht, wie wir sind, und er liebt uns genau so. Denn in Genesis 1,31 steht geschrieben: „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“

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